Was ist ein Schreibaby?
Wenn Babys sehr viel scheinbar ohne Grund schreien, fragen sich Eltern oft: „Ist mein Baby ein Schreibaby oder ein Highneedbaby?“ Wir gehen der Frage jetzt auf den Grund, damit Du in einigen Minuten weißt, ob Du ein Schreibaby hast.
Definition: Die Dreierregel für Schreibabys
Die wissenschaftliche Definition eines Schreibabys ist die Dreierregel¹ aus den 1950er Jahren:
Ein Schreibaby schreit untröstbar länger als 3 Stunden an mehr als 3 Tagen für mehr als 3 Wochen.
Das ☝🏻 ist die offizielle Definition eines sogenannten Schreibabys.
Ab diesen 3 Stunden an mehr als 3 Tagen über mehr als 3 Wochen darfst Du offiziell um Hilfe bitten, Dich müde fühlen und auf meinem Blog lesen!
Nein, Quatsch, natürlich nicht 😊 Und das ist auch mein Problem mit dieser Regel. Denn sie sagt nichts über Dich aus, über Deine Erschöpfung, Deine Suche nach Hilfe, Deine Wut und Deine Verzweiflung. Jedoch geht es bei untröstbarem Babyschreien immer auch um Dich als Bezugsperson Deines Babys auf seinem Weg durch die Schreizeit.
Exzessives Babyschreien
Exzessives Babyschreien ist dasselbe wie untröstbares Babyschreien. Beide Begriffe meinen das Gleiche: ein Baby, das (scheinbar) grundlos über Stunden schreit, immun gegen Beruhigungsversuche.
Es kann unheimlich schwer sein, zu verstehen, ob ein Baby nun mit Grund, ohne Grund, untröstbar oder vielleicht sogar wegen einer Sache schreit, die leicht zu beheben wäre.
Ein Beispiel: wenn ich denke, dass mein Baby alleine in seine Wiege gehört, damit es ruhig schlafen kann, mein Baby aber Nähe braucht- dann wird es so lange schreien, bis es diese Nähe irgendwie bekommt. Wenn ich das aber nicht verstehe, werde ich vielleicht versuchen, zu stillen oder Flasche zu geben, einen Schnuller anbieten, das Baby vielleicht von der Wiege in den Kinderwagen umbetten, ich werde die Windel wechseln, das Baby im Fliegergriff umher tragen, ich werde vielleicht eine Babymassage ausprobieren oder mein Baby umziehen und dann werde ich mich irgendwann verzweifelt fragen: warum schreit mein Baby? Ist mein Baby ein Schreibaby?
Verstehst Du, was ich meine? Wir können nie wissen, ob alle Bedürfnisse unserer Babys erfüllt sind und weshalb sie schreien. Somit ist es sehr schwer, eine Definition für Schreibabys zu finden.
Lass` uns doch mal einen glasklaren Blick auf die Bedürfnisse von Babys werfen:
Symptome von Schreibabys: Grundbedürfnisse
- Nahrung
- Ausscheidung
- Wärme
- Schlaf
- Sicherheit
- Gefühle verstehen und bewältigen (mit einer liebevollen Bezugsperson)
- Gemeinschaft
- Körperkontakt
- Ansprache (mit Worten und mit Berührungen)
- neue Reize, aber nicht zuviele
- verstehen, was passiert
- Neues lernen
Hier gilt es nun, einmal die Lupe auszupacken und ganz genau hinzuschauen. Sind diese Bedürfnisse universell? Also immer bei jedem Baby gleich stark?
Nein natürlich nicht 💜
Jedes Baby ist anders, einzigartig. Und so hat auch jedes Baby eine eigene Wohlfühlzone.
Wo ein Baby, dem etwas zu kalt ist, vielleicht nur unruhig schläft, wird ein anderes Baby womöglich lauthals und verzweifelt schreien (und das über Stunden), weil es sehr temperaturempfindlich ist und durch das Frieren erschreckt wurde.
Ein anderes Baby quengelt leise, wenn es trinken möchte- Dein Baby schreit womöglich von 0 auf 100 so schnell, dass Du in dem Tempo nicht mal die Brust rausholen kannst.
Das Baby Deiner Freundin fühlt sich vielleicht zufrieden und sicher, wenn es im Kinderwagen liegt und manchmal die Stimmen der Familie hört…. Dein Baby schreit aber im Kinderwagen, weil es nicht liegen möchte, weil es den Abstand zu Dir nicht aushält und weil es Angst hat.
Andere Babys lieben es vielleicht, Auto zu fahren, Deines schreit im Auto so lange, bis es sich verschluckt.
Selbst, wenn hier die gleichen Voraussetzungen waren, hat doch jedes Kind anders reagiert.
Was ist der Geheimtrick bei Schreibabys?
Wie ist denn dann der Geheimtrick? Woher wissen manche Eltern genau, was ihr Baby braucht und was nicht?
Einfache Antwort: sie wissen es nicht. Sie raten! Sie raten aus einer Mischung von Erfahrung, Ratgeberwissen und Bauchgefühl heraus. Wenn das Baby nun keine sehr hohen Bedürfnisse hat und die Eltern zudem feinfühlig auf die Zeichen des Babys achten, wird dieses Kind nicht viel schreien und weinen müssen.
Sogenannte Schreibabys und Highneedbabys haben jedoch sehr hohe und spezielle Bedürfnisse und zusätzlich geben manche Babys nur undeutliche und sehr schwache Zeichen, bevor sie in höchster Not los schreien. Das bedeutet also nicht, dass Du zu doof bist, um Dein Kind zu verstehen: es bedeutet, dass ihr aneinander vorbei „redet“ und dass ihr noch eine gemeinsame Sprache finden, noch mehr probieren, euch noch besser kennen lernen müsst. Es sagt nichts darüber aus, ob Du eine gute Mama bist oder nicht!
Symptome von Schreibabys: Fachleute
Wenn alle Bedürfnisse Deines Babys abgecheckt sind und es trotzdem stundenlang schreit, dann liegt der Grund für das exzessive Schreien woanders.
Der erste Gang sollte Dich jetzt zu Fachleuten führen: Kinderarztpraxis, Hebamme, Babyschreiberatung, Schreiambulanz.
Denn unstillbares Schreien kann auf eine Krankheit oder Bauchschmerzen hinweisen- muss nicht, kann.
Bleibe bei Fachpersonen für Dein Schreibaby aufmerksam!
Bitte bleib bei den Fachpersonen feinfühlig und kritisch: manche Ratschläge sind wahre Schläge in die Magengrube und deuten darauf hin, dass hier kein Fachwissen, sondern eine persönliche Meinung weitergegeben wird.
Wenn Du Tipps hörst wie „lassen Sie ihn halt mal schreien“ oder „Sie sind vielleicht nicht entspannt genug“ oder auch „das verwächst sich“, wenn Du nur mit Tropfen gegen Blähungen aus der Praxis geschickt wirst, dann empfehle ich Dir, noch eine zweite Fachmeinung einzuholen.
Du wirst bei Ratschlägen von Expertinnen und Experten sehr schnell spüren, ob sie wissen und wirklich verstehen, wie es Deinem Baby und Dir geht. Wenn die Fachperson kein eigenes Schreibaby oder Highneedbaby hatte und auch keines persönlich kennt, dann bleibe vorsichtig und höre auf Dein Herz: konnte Dich bereits jemand verstehen, wirklich verstehen, der nicht selbst solch ein Baby hatte?
Weißt Du, ich war 4 Mal in der Situation, in der Du jetzt bist. Etlichen Eltern mit ihren Babys habe ich bereits geholfen. Ich weiß, wie es Dir geht, ich kenne Deine Scham, Deine Tränen und Deine Angst 💜
Wenn die Grundbedürfnisse Deines Schreibabys (soweit möglich) gestillt sind und Dein kleines lautes Baby gesund ist, aber trotzdem schreit- ist es dann ein Schreibaby?
Moment bitte. Ein wichtiger Punkt fehlt noch:
Hauptsymptom für ein Schreibaby: Du!
Du bist die engste Bezugsperson Deines Babys. Wenn Du Dich grenzwertig belastet fühlst, wenn Dir das Schreien zu viel ist, wenn Du das Gefühl hast, dass Dein Baby ständig schreit, wenn Du stundenlang alles gibst, kein Auto mehr fährst und schon vereinsamst (denn niemand versteht Dich), dann darfst Du Dein Baby „Schreibaby“ nennen.
Einfach so? Ja. Denn der Begriff „Schreibaby“ ist keine Diagnose, keine Lösung, keine Krankheit, keine Störung: Es bezeichnet einfach ein Baby, dass sehr viel schreit, so viel, dass die Eltern sich überfordert fühlen, hilflos, sich schämen, sich sorgen, weinen (heimlich im Bad), streiten, übermüdet sind. Eine Belastung für alle, ganz besonders für das kleine Schreibaby!
Denn ehrlich: Dein Baby ärgert Dich nicht, es hat sicher besseres zu tun als ständig zu schreien (zum Beispiel kuscheln, entspannen, … viele Schreibabys weinen sogar in der Badewanne!). Es schreit nicht aus Absicht so viel und so laut!
Jedes Schreibaby hat eine Not, wenn es schreit. Und wahrscheinlich schreit es auch oft, weil ihm selbst das eigene Schreien zu laut in seinem kleinen Köpfchen ist 😢
„Ich habe ein Schreibaby!“ Was kannst Du nun mit der Bezeichnung „Schreibaby“ anfangen?
Du kannst Dir damit Hilfe suchen. Du kannst Gleichgesinnte finden, Familien, denen es geht wie euch, deren Babys dieselben Symptome zeigen wie Deines. Du kannst damit eine gute Babyschreiberatung an Deine Seite holen 💜
Ist es denn nun eigentlich ok, ein Baby einfach „Schreibaby“ zu nennen? Ist das nicht diskriminierend, abwertend?
Ja, das ist es in einer Weise schon. Denn Dein kleines Baby, dessen große Probleme Du (noch) nicht verstehen kannst, ist so viel mehr als ein „Schreibaby“.
Es ist liebenswert, einzigartig, wunderschön, kompetent, gewünscht. Es hat Gefühle, Vergangenheit, Zukunft, Wünsche, Fähigkeiten, Intuition, Instinkte und Fussel zwischen den süßen, kleinen Zehen. Es ist unendlich mehr als „ein Schreibaby“.
Trotzdem nutze auch ich diesen Begriff.
Ein liebevolles Etikett statt einer Definition
Denn der Begriff ist keine Definition, nur eine handliche, liebevolle Schublade. Es ist ein kleines Etikett, das Du gedanklich vor Dein Baby hältst und Dich nun mit anderen Betroffenen austauschen kannst, mit dem Du nun leichter erkennen kannst, welchen Eltern es geht wie euch und wer sich auskennt, wirklich auskennt.
Denn Menschen, deren Kind auch ein Schreibaby war, werden nicht irritiert die Augenbrauen hochziehen, wenn Du von Deinem eigenen Schreibaby erzählst. Sie werden nicht „Babys schreien eben“ murmeln und sie werden nicht „da war dann sicher was in der Schwangerschaft“ giften.
Denn Du bist mit Deinem Schreibaby nicht alleine!
Sie werden die Augen öffnen (mit den grauen Ringen darunter), sie werden Dir ein freundliches Lächeln schenken und sie werden genau verstehen, wie es Dir geht.
Nicht alles, nein. Denn jedes Kind ist anders. Aber vieles, die Erschöpfung, die belastete Beziehung, das Geschrei im Auto, die vielen, vielen, vielen grauen Nächte, das viele Geld für Pucktücher, Federwiegen und andere Hilfsmittel, die Enttäuschung (und vielleicht Wut) über das verlorene Wochenbett (denn ja, es ist mit einem Schreibaby meistens verloren). Und genau dazu brauchst Du das kleine Wort „Schreibaby“.
Und weil das eigentlich nur eine Hilfe für Dich ist, darfst Du ganz alleine entscheiden, ob Du Dein Baby so nennen möchtest oder nicht.
Schreibaby oder Highneedbaby?
Es gibt so viele Begriffe da draußen für Babys, die mehr schreien als andere. Lass` uns mal ein bisschen Licht ins Dunkel bringen:
- unruhiges Baby: ein Baby, das nach Meinung der Eltern mehr schreit als andere Babys
- Highneedbaby: ein Baby, das trotz Gesundheit untröstbar schreit, wenn seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden und das höhere Bedürfnisse hat als andere Babys
- Schreibaby: ein Baby, das gesund ist und auch mit erfüllten Bedürfnissen viel und untröstbar schreit
- Dreimonatskoliken / Kolik / Säuglingskolik: Kolik ist ein veralteter Begriff. Früher dachte man, dass Babys wegen Bauchschmerzen und Blähungen viel schreien. Das ist überholt und stimmt nicht. Der Begriff ist falsch und sollte nicht mehr genutzt werden. Es gibt keine Säuglingskolik.
- 24Stunden- Baby: Highneedbaby oder Schreibaby
- bedürfnisstarkes Baby: Highneedbaby
- gefühlsstarkes Baby: Gefühlsstärke ist eine bestimmte Art der Persönlichkeit, die der Grund für untröstbares Schreien sein kann. Gefühlsstärke bleibt ein Leben lang. Es ist keine Krankheit.
- hochsensibles Baby: Hochsensibilität kann ebenfalls ein Grund für untröstbares Babyschreien sein. Hochsensibilität bleibt ein Leben lang. Es ist keine Krankheit.
- gefühlvolles Baby: anderer Begriff für Hochsensibilität oder Gefühlstärke.
- Schreistunde: abendliches, untröstbares Schreien, das nach 2 bis 5 Monaten verschwindet und alle Babys treffen kann.
- Anpassungsstörung: Schwierigkeiten des Babys, sich auf der Welt zurecht zu finden, Probleme mit den vielen neuen Geräuschen, Gerüchen, Gefühlen. Vorrübergehend, es wird nach einigen Monaten besser.
- Regulationsstörung: Anpassungsschwierigkeiten des Babys in Kombination mit Überforderung der Eltern. Kann verschiedene Bereiche betreffen, zum Beispiel Probleme bei der Gewichtszunahme, vermehrtes Schreien, Probleme beim Stillen/ Füttern, Probleme in der Entwicklung und im Spielverhalten, usw.
Schreibabys sind intensive Babys
Weil das alles sehr verwirrend sein kann, nutze ich gerne den Begriff „intensive Babys“. Damit meine ich alle Babys, die sich intensiver, anstrengender verhalten als andere, mit denen alles intensiver ist: schlechteres Schlafen, mehr trösten, weniger Alltag, längeres Kennenlernen.
Wie Du den Begriff nutzt, ist ganz alleine Deine Wahl. Wo eine Mama vielleicht schon ein unruhiges Baby als intensiv empfindet, weil sie keinerlei familiäre Unterstützung hat und noch mehr Kinder, da findet eine vielköpfige Großfamilie womöglich erst bei täglichem, stundenlangem Geschrei, dass die Babyzeit nun besonders intensiv ist.
Liebe Eltern, wenn euer Baby sehr viel schreit, dann sucht ihr vermutlich mit Hochdruck nach dem Problem eures Babys. Es kann jedoch sein, dass ihr das Problem eures Babys (noch) nicht lösen könnt und dass ihr erst in ein oder zwei oder drei Jahren herausfindet, was euer Baby in der schweren Anfangszeit hatte.
Es ist dann dringend angeraten, dass ihr lernt, mit dem Schreien umzugehen: denn exzessives Babyschreien kann wunderbar beruhigt oder begleitet werden. Keine Angst, das könnt ihr lernen 💜
Ihr seid nicht alleine, geschätzt sind ca. 20% aller Babys intensiv!
Der Umgang mit untröstbarem Babyschreien liegt im Beruhigen und/ oder Begleiten. Beides kannst Du bei einer erfahrenen Babyschreiberaterin oder auch in guten Schreiambulanzen lernen (schau zu Schreiambulanzen bitte in mein Storyhighlight auf Instagram).
Ich wünsche Dir alle Kraft der Welt! Ich hatte 4 intensive Babys und ich weiß genau, wie sehr Du genau jetzt Kraft und Hilfe brauchst!
Nervige Babys?
Es kann sehr fordernd und auslaugend sein, so ein kleines intensives Baby zu haben. Wenn Du Dich in dunklen Momenten fragst, wieso Dein Baby nur so sein muss und warum alles im Unterschied zu anderen Babys so schwer sein muss, dann denke daran:
Nicht Dein Baby ist so unglaublich anstrengend, sondern unsere Gesellschaft, die Dich nicht unterstützt, die Dich noch ausgrenzt und belächelt (weil Du Dir „auf der Nase herumtanzen lässt“), die verlangt, dass Dein Baby einfach funktioniert, genau wie Du.
Denn nicht alle Babys sind gleich und nicht alle sind dafür gemacht, früh solchen Ansprüchen zu genügen- intensive Babys können das meistens einfach noch nicht und brauchen mehr Zeit.
Deine Einsamkeit
Ebenso ist es mit Deiner Einsamkeit: wenn Du Dich nicht raus traust, wenn Du Angst hast, spazieren zu gehen (weil Dein Baby sogar im Kinderwagen schreit), wenn Du den Kontakt zu Deinen Freunden verlierst (weil Du so mit Einschlafbegleitung beschäftigt bist, dass Du Dich nie unterhalten kannst), wenn Du an keinen Babykursen teilnimmst (weil Du das Gefühl hast, dass alle anderen Eltern alles besser können als Du), weil Du Dein Elterngeld für Tropfen, Globuli und Federwiegen ausgibst, dann liegt das doch nicht an Deinem unschuldigen Baby!
Es ist Aufgabe der Gesellschaft, zu thematisieren, dass es solche intensiven Babys gibt, auszusprechen, dass solche Eltern belastet, verzweifelt und einsam sind und die Arme zu öffnen für Babys wie Deins.
Es gibt so viele andere Babys, die viel und untröstbar schreien. Du fühlst Dich nur so alleine und siehst nie andere Eltern mit solchen Babys, weil auch diese Familien zu Hause bleiben, weil diese anderen Mamas gerade nervös im dunklen Flur herumlaufen und ihr Baby auf dem Arm schaukeln (genau wie Du). Du bist nicht alleine damit!
Ich weiß, wovon ich rede: Podcast Laut und Liebe
Sind Deine Augen (die früher so viel Glanz hatten) zu müde zum Lesen? Du kannst Dir mein Wissen und meine Erfahrung auch kostenlos anhören 💜