Ob Babys ADHS haben können, erfährst Du in diesem Artikel.
Viele Eltern von sogenannten Schreibabys und Highneedbabys fragen sich, ob ihr Baby ADHS hat. Die schnelle Antwort (denn ich weiß, Du bist müde) ist: ja, es kann sein.
Wollen wir gemeinsam schauen, wie Du ADHS bei Deinem Kind erkennen kannst und wo es Hilfe gibt?
Los geht`s:
Was ist ADHS überhaupt?
Ausgeschrieben heißt es Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivitätsstörung.
Auf Englisch heißt es ADHD (Attention Deficit Hyperactivity Disorder).
Zwei der Hauptsymptome finden sich bereits im Namen:
- Aufmerksamkeitsschwäche (ich erkläre es weiter unten)
- Hyperaktivität (die ist nicht immer sichtbar! Verrückt, oder? Unten steht mehr)
Dazu kommt noch
- Impulsivität.
Was ADHS nicht ist:
ADHS bedeutet nicht, dass betroffene Babys und Kinder nach Aufmerksamkeit suchen und Aufmerksamkeit fordern.
Ist ADHS bei Babys und Kleinkindern eine Behinderung?
In Deutschland wird ADHS nicht als Behinderung, sondern als „Störung“ bezeichnet.
ADHS ist keine Krankheit, sie ist nicht heilbar. Sie kann aber, wenn sie unerkannt bleibt, Folgekrankheiten mit sich bringen.
Heißt es „das“ oder „die“ ADHS?
Das kommt darauf an, wie man die Abkürzung ADHS benutzt:
Die Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivitätsstörung oder das Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivitätssyndrom.
Offiziell richtig ist: Die Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivitätsstörung.
Haben Schreibabys ADHS?
Ob Babys ADHS haben können, wurde vor einigen Jahren (2014) genauer erforscht. Babys mit Regulationsstörungen wurden mit anderen Babys über längere Zeit verglichen, bis in das Grundschulalter hinein.
Das Ergebnis war, dass sogenannte Schreibabys oder Highneedbabys eindeutig ein höheres Risiko haben, als Schulkind eine ADHS Diagnose bekommen.
Mögliche Gründe für eine ADHS Diagnose von früheren „Schreibabys“
Die Gründe für die spätere Diagnose waren nicht abschließend geklärt:
Es wurde nicht klar, ob die Babys zum Beispiel viel geschrien haben, weil sie bereits ADHS hatten oder ob sie eine ADHS- Diagnose bekommen haben, weil sie viel geschrien haben. Was denkst Du?
Ich persönlich bin der Meinung, dass Menschen mit ADHS dies schon als Baby haben und das Schreien ein Symptom dafür ist. Aber klar, Babys können auch wegen 1000 anderer Dinge schreien- nicht jedes „Schreibaby“ hat ADHS und nicht jedes Baby mit ADHS schreit viel.
Hast Du keine Zeit mehr, um weiter zu lesen? Hier gibt es eine Checkliste, um eine ADHS bei Deinem Baby leichter feststellen zu können 💜
Highneed oder ADHS?
Hast Du ein Highneedbaby? Wenn Du von dem Begriff noch nie etwas gehört hast, schau bitte hier oder höre in die entsprechende Podcastfolge rein.
Was ist der Unterschied zwischen Highneed und ADHS?
Aufgepasst, das ist jetzt meine ganz private Meinung.
Die 12 Merkmale für sogenannte Highneedbabys enthalten die Bezeichnung „sehr aktiv“. Auch die anderen Merkmale hören sich teilweise verdächtig so an, als würde eine Krankheit dahinterstecken, oder?
Das ist auch manchmal so. Für mich ist die Merkmalsammlung von Highneedbabys eine Sammlung an Symptomen. Es kann somit sein, dass ein Highneedbaby Anpassungsprobleme hat und der Stress nach einigen Wochen aufhört. Es kann sein, dass es das Highneedverhalten zeigt, weil es ein anderes Problem hat, vielleicht Bauchschmerzen oder Kolik.
Oder es kann sein, dass das viele Schreien und das ganze Verhalten Deines Babys ein Zeichen für eine Störung sind. Genauer kann man das zum Beispiel in einer guten Babyschreiberatung herausfinden 💜
Nach meiner jahrelangen Erfahrung mit intensiven Babys steht für mich fest:
Highneed ist ein Symptom. ADHS ist eine Störung.
Highneed kann ein Symptom für ADHS sein. Ebenso kann es ein Symptom für etwas ganz anderes sein.
Vorurteile über ADHS bei Babys und Kleinkindern
ADHS ist wie ein großer, glitzernder Magnet, der jede Menge Unwissen, Vorureile und verletzende Sprüche anzieht.
Ich bitte Dich: verbreite nicht dieses Schubladendenken über ADHS (deshalb liest Du ja jetzt dieses wunderbaren Artikel über ADHS bei Babys und Kleinkindern).
Hier sind einige Aussagen, die mir in meiner Arbeit als Integrationsfachkraft für Kinder mit ADHS und als Babyschreiberaterin begegnet sind:
- „Kinder mit ADHS sind ungezogen“
- „so sind Jungs eben“
- „Kinder sind halt wild“
- „Sie ist nur verträumt“
- „Du musst stärker durchgreifen“
- „Die Eltern müssen öfter mit dem Kind in den Wald!“
- „Aber er kann doch auch still sitzen, da kann es kein ADHS sein“
- „Die Eltern erlauben zu viel Fernsehen, deshalb ist das Kind aufgedreht“
- „Solche Kinder brauchen einfach Omega 3- Fettsäuren“
- „Früher gab es sowas nicht!“
- „Da muss man nur härter durchgreifen.“
- „Solche Probleme sind hausgemacht.“
- „Das Kind ist einfach verwöhnt.“
- „Er ist faul!“
- „ADHS ist ein anderes Wort für `dumm`!“
- „Das kommt nur in asozialen Familien vor.“
Kann ein Baby ADHS haben?
Es ist nicht klar, ab wann ein Baby oder ein Kind ADHS haben kann. Klar ist: je jünger das Kind, desto schwerer ist das Erkennen von ADHS.
Kann ein Kleinkind ADHS haben?
ADHS wird in Deutschland erst ungefähr ab dem Einschulungsalter diagnostiziert. Das heißt nicht, dass es kein ADHS bei Kleinkindern gibt, sondern, dass es in so einem jungen Alter normalerweise noch nicht diagnostiziert wird.
Ab welchem Alter erkennt man ADHS?
Die vielfältigen Symptome von ADHS können manchmal nur schwer von den normalen Entwicklungsschüben von Kleinkindern und Babys unterschieden werden. Daher wird normalerweise abgewartet, bis bestimmte Meilensteine in der kindlichen Entwicklung erreicht wurden- um ganz sicher zu sein.
Kann sich ADHS bei Babys und Kleinkindern verwachsen?
Nein. Mit zunehmendem Alter ist es möglich, dem Kind Wege zu zeigen, sich mit all seinen fehlenden und zusätzlichen Fähigkeiten in der Gesellschaft zurecht zu finden. Oft müssen dafür erst die Eltern solche Möglichkeiten lernen, um sie dann den Kindern zeigen zu können.
Auch lernen sich Betroffene von ADHS mit der Zeit selbst besser kennen. Sie erkennen dann (wenn alles gut läuft), wann sie Pausen brauchen, um sich wieder zu sammeln. Das sieht dann aus, als würde sich die ADHS verwachsen, es ist jedoch nicht so, sie ist weiterhin da.
Ist ADHS eine Modediagnose?
Sowas gab es früher nicht…. Oder? 🤔
Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurde die spezielle Symptomkombination beobachtet und beschrieben.
1980 wurde die Störung zum ersten Mal in den US- amerikanischen Katalog der Krankheiten aufgenommen.
Mittlerweile wird mehr darüber gesprochen, das Bewusstsein für ADHS ist höher- ein Glück! So werden die Symptome früher erkannt, mehr Kinder ärztlich vorgestellt und bekommen ihre Diagnose 💡
Wir müssen auch verstehen, dass heute ein hoher Druck auf Kindern lastet:
Meilensteine und „Schübe“ werden mit Apps überwacht, Frühförderung, Babykurse, Betreuung den ganzen Tag. Das alles sind tolle Möglichkeiten, versteh mich bitte nicht falsch!
Gleichzeitig kann es betroffenen Kindern die Möglichkeit von Pausen nehmen und die Symptome (und somit den Leidensdruck) verstärken.
Gibt es nur eine Art ADHS?
Damit es spannend bleibt: nein, es gibt sogar verschiedene Unterformen von ADHS. Diese werden in Deutschland nicht offiziell eingeordnet, von betroffenen Familien jedoch oft verwendet, um besser mit der ADHS umgehen zu können.
Wir müssen sie kurz (wirklich nur ganz kurz, versprochen🙏🏼) anleuchten, um danach die Symptome besser einordnen zu können.
Welche Unterformen/ Typen von ADHS gibt es?
- Hyperaktiv nach außen (zappelig, wild, das „typische“ ADHS, wie sie oft in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird)
- Hyperaktiv nach innen (solche Menschen wirken verträumt. Früher sagte man „ADS“ dazu, „Aufmerksamkeitsdefizitstörung“). Die Gedanken fliegen, der Körper wirkt ruhig. Das kann das Erkennen von ADHS sehr erschweren.
- Eine Kombination aus beidem.
Was sind die Symptome von ADHS bei Kleinkindern und Babys?
Ich zeige Dir die allgemeinen Symptome von ADHS und gebe Dir jeweils ein Beispiel, wie sich das bei Kleinkindern und Babys zeigen kann.
Du brauchst keinen Screenshot- ich habe Dir hier eine Checkliste über die ADHS- Symptome bei Kleinkindern und Babys erstellt 💜
Die Hauptsymptome von ADHS bei Babys und Kleinkindern
Bitte beachte, und das ist so wichtig: wenn Du eines oder mehrere der Symptome bei Deinem Baby oder Kleinkind beobachtest, heißt das nicht, dass es ADHS hat. Jedes der Symptome kann auf viele andere Dinge hinweisen- oder auch ein ganz normaler Teil der gesunden Entwicklung Deines Kindes sein.
Bei ADHS müssen die Hauptsymptome zwingend in verschiedenen Lebensbereichen und auch dauerhaft da sein. Es kann schwierig sein, das, einzuschätzen, wenn Du aus tiefstem Herzen besorgt um Dein Baby bist. In meiner Checkliste kannst Du die Symptome über einen längeren Zeitraum übersichtlich sammeln.
Aufmerksamkeitsdefizit bei Kleinkindern und Babys
Menschen mit ADHS können ihre Aufmerksamkeit nicht bündeln. Sie haben Aufmerksamkeit, können diese aber nicht steuern. Wie ein Lichtstrahl, der durch ein Glas scheint und in tausend bunte Strahlen zerbricht.
Hyperfokus
Manchmal, bei besonderem Interesse, klappt das Bündeln: das nennt man Hyperfokus. Aber der Hyperfokus ist nicht steuerbar. Betroffene versinken in eine Tätigkeit oder einen Gedanken.
Beispiele für das Aufmerksamkeitsdefizit bei Babys und Kleinkindern
Ein Beispiel für ein Baby mit Aufmerksamkeitsdefizit:
Das Baby hält womöglich Blickkontakt zu Gegenständen (zum Beispiel ein Mobile im Kinderwagen) oder Personen nur kurz und fahrig, weint dabei oft und lässt den Blick durch den Raum fliegen.
Ein Beispiel für ein Kleinkind mit Aufmerksamkeitsdefizit:
Das Kleinkind kann sich nie auf das Vorlesen eines Buches konzentrieren, läuft jedes Mal weg oder wirft das Buch.
Beispiele für die Hyperaktivität bei Babys und Kleinkindern
Weißt Du noch, jedes Symptom kann auch etwas anderes oder nichts bedeuten 😉
Hyperaktivität kann sich auch innerlich abspielen. Ich nenne hier Beispiele für sichtbare Hyperaktivität.
Ein Beispiel für ein Baby mit Hyperaktivität:
Das Baby ist ständig unruhig, auf dem Arm, in der Federwiege, in der Tragehilfe, überall. Es tobt regelecht, wenn es im Autositz angeschnallt wird und möchte nie kuscheln.
Ein Beispiel für ein Kleinkind mit Hyperaktivität:
Das Kleinkind turnt vor jedem Einschlafen im Bett, ganz egal, wieviel es am Tag geschlafen hat.
Beispiele für die Impulsivität bei Babys und Kleinkindern
Zu Impulsivität kann man auch „mangelnde Impulskontrolle“ sagen. Gemeint ist, dass das Kind seine plötzlichen Einfälle nicht stoppen kann.
Gerade bei der Impulsivität ist es mir unmöglich, auffällige Beispiele zu finden. Weißt Du, wieso?
Alle Babys und Kleinkinder haben eine schlechte Impulskontrolle. Das ist normal und in diesem Alter kein spezifisches Symptom.
Aber versprochen ist versprochen, hier sind zwei Beispiele:
Ein Beispiel für ein Baby mit Impulsivität:
Das Baby weint jedes Mal, wenn ihm etwas nicht gefällt.
Ein Beispiel für ein Kleinkind mit Impulsivität:
Das Kleinkind bekommt starke Wutanfälle und wirft sich dabei auf den Boden.
Weitere Symptome von ADHS bei Babys und Kleinkindern
Neben den drei Kernsymptomen gibt es noch weitere Symptome für ADHS, die zwar häufig, aber nicht immer auftreten.
Der Unterschied ist, dass die Kernsymptome von oben immer und ständig da sein müssen. Die anderen Symptome müssen nicht alle bestehen. Sie dienen eher als Hinweis auf dem Weg zur Diagnose.
Du wirst beim Lesen das eine oder andere Mal die Stirn runzeln. Damit hast Du Recht: vieles passt einfach so gar nicht auf Babys und auch nicht auf Kleinkinder. Diese Merkmale kommen umso wichtiger und klarer zum Vorschein, je älter ein Kind wird.
Häufige Symptome von ADHS bei Kleinkindern
- Wildheit
- Verträumtheit
- Hasst es, gewickelt zu werden
- Regeln nicht einhalten
- Sehr sensibel
- Starke Gefühle
- Ständig rennen, springen, klettern
- Es wirkt, als sei ein Motor im Kind, der es antreibt und das Kind kann den Motor nicht kontrollieren
- Sobald das Kind sprechen kann: nonstop reden
- Es kann kein Interesse an einem Spiel aufrecht erhalten werden oder
- Das Kind ist so versunken, dass es nichts anderes mitbekommt
- Beikost einführen ist schwierig: hampeln, Essen werfen, unruhig am Tisch
- Reizempfindlich
- kuschelt nicht gerne
- Unbeliebt bei anderen Kindern
- Kleiner Freundeskreis
- Oft zurecht gewiesen werden in der Betreuung
- Distanzlosigkeit: nähert sich auch Fremden ohne Grenze
- Überschreitet Grenzen von anderen Erwachsenen und Kindern
- Wirkt frech, laut, ungezogen
- Es unterbricht sich selbst und auch andere ständig
- Ist schnell überfordert
- Alles ist extrem: Gefühle und Verhalten
- Verletzt sich oft, stößt sich an, fällt hin
- Strafen und Erziehung wirken nicht
- Das Kind fühlt sich, als sei es wenig wert. Das ist so schlimm, wie es sich anhört und wir kommen später noch darauf zurück.
Laut dem “National Survey of Children’s Health” wurden in den USA zwischen 2010 und 2011 ca. 194000 Kinder im Alter zwischen 2 und 5 Jahren mit ADHS diagnostiziert!
In Deutschland findet eine so frühe Diagnose aus verschiedenen Gründen normalerweise nicht statt (die Gründe stehen weiter unten).
Häufige Symptome von ADHS bei Babys
- Schlafprobleme
- Schreibaby– Verhalten
- Highneedverhalten
- Regulationsstörung
- Schnell überreizt sein
- weint in der Federwiege
- Weint im Auto
- Lange Gefühlsausbrüche
- Schläft nicht im Kinderwagen
- Zappelig sein
Auch diese Symptome von ADHS bei Babys sind häufige Verhaltensweisen von Babys (das gilt auch für die Symptome von ADHS bei Kleinkindern) und können somit komplett normal sein.
Man kann nicht voraussagen, ob das Verhalten durch Entwicklungsschritte verschwinden wird oder ob es dauerhaft ist. Die Dauerhaftigkeit ist eine Basis für eine ADHS- Diagnose (daher habe ich Dir den ADHS Symptomfahrplan für Babys und Kleinkinder erstellt: hier entlang).
Ab wann sollte man wegen ADHS mit dem Baby zur Kinderarztpraxis gehen?
Grundsätzlich solltest Du Dein Baby immer ärztlich vorstellen, wenn Du den Verdacht hast, dass es ihm schlecht geht oder etwas nicht stimmt.
Zu ADHS bei Babys und Kleinkindern gibt es in Deutschland keine Richtlinien. Es ist daher fraglich (und eher unwahrscheinlich), dass Du mit Deinen Fragen zu ADHS bei Babys und Kleinkindern ärztliche Antworten und Hilfe bekommst.
Sinnvoll ist auf jeden Fall, die Symptome zu notieren und über einen langen Zeitpunkt zu beobachten. Damit kannst Du euch eine spätere ADHS- Diagnose erleichtern.
Wen kann ich zu ADHS bei Babys und Kleinkindern um Rat fragen?
Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sind
- Kinderärztin/ Kinderarzt
- Kinder- und Jugendpsychiaterin/ Kinder- und Jugendpsychiater
- Frühförderzentren („FFZ“) oder sonderpädagogische Zentren („SPZ“)
Nach meiner Erfahrung macht es Sinn, auf Erfahrung mit ADHS und besonders auf Erfahrung mit ADHS bei Babys und Kleinkindern (zumindest mit ADHS bei Kindern) zu achten. Die Forschungslage dazu ist dünn und nicht jede Fachperson kennt sich automatisch mit frühkindlichem und kindlichem ADHS aus.
Es kann sein, dass Du auf Vorurteile triffst. Bitte lass` Dich davon nicht abschrecken. Deine Wahrnehmung, Deine Erfahrungen und das Leid eurer Familie ist echt, Du bildest es Dir nicht ein (und niemand hat das Recht, so etwas anzudeuten)!
Ab welchem Alter gibt es die Diagnose ADHS?
In Deutschland wird die Diagnose meistens mit ca. 7 Jahren gestellt, manchmal etwas früher, oft später (vor allem, wenn sich die Hyperaktivität nach innen richtet, wird die ADHS oft nur schwer erkannt).
Wie wird ADHS festgestellt?
Babys und Kleinkinder können nicht so befragt und untersucht werden wie ältere Kinder.
Daher stützt sich die Diagnose auf
- Das Abfragen der Symptome
- Eure Berichte und Beobachtungen als Eltern (am besten über einen längeren Zeitraum)
- Berichte anderer Menschen, die mit dem Kind eng zu tun haben, Betreuungspersonal, Großeltern usw.
- Je nach Alter kann das Kind eventuell selbst befragt werden
- das Verhalten des Babys oder Kleinkindes wird beobachtet. Je nach Möglichkeiten sollte es in verschiedenen Situationen beobachtet werden (in der Praxis, zuhause, im Kindergarten)
Was ist zusätzlich zu den Symptomen wichtig?
Zusätzlich zu den Symptomen von ADHS bei Babys und Kleinkindern spielt es eine große Rolle,
- Ob die Symptome in wirklich allen Situationen auftreten (also nicht nur, wenn das Kind beispielsweise müde oder daheim ist)
- Ob die Symptome zu jeder Zeit auftreten
- Wie stark die Symptome die Familie belasten
- Ob es noch weitere Fälle in der Familie gibt (bei älteren Familienmitgliedern gibt es meist leider keine Diagnosen und keinen „Glauben“ an ADHS)
- Ob in der Schwangerschaft Nikotin, Alkohol, andere Drogen oder Umweltgifte aufgenommen wurden
- Ob die Symptome bereits seit einigen Jahren bestehen
- Das Alter des Kindes: bei Vorschulkindern führt gewöhnlich nur ein extremer Leidensdruck zu einer Diagnose.
Zusätzlich sollte immer das Alter und die Intelligenz des Kindes Beachtung finden.
Vorteile einer frühen ADHS Diagnose
Zwar werden in Deutschland Babys und Kleinkinder nur in Ausnahmefällen mit ADHS diagnostiziert, jedoch haben frühe Diagnosen einige Vorteile:
- Die Eltern haben genug Zeit, sich umfassend über ADHS zu informieren
- Betreuungspersonen in KiTa und Schule können frühzeitig über ADHS aufgeklärt werden, um hilfreich und verständnisvoll mit dem betroffenen Kind umgehen zu können
- Das Kind kann Therapien beginnen, um besser mit seinen Symptomen umgehen zu können
- Die Gefahr sinkt, dass das Kind ausgegrenzt und gemobbt wird
- Das Kind bringt mehr Verständnis für sich selbst auf (Kinder mit ADHS haben meistens ein sehr geringes Selbstwertgefühl, da sie so oft negativ auffallen)
- Hilfen für Kindergarten und Schule können rechtzeitig beantragt werden (die Wartezeiten sind oft unglaublich lange ⏰)
- Anträge können ohne Zeitdruck gestellt werden (zum Beispiel ein Antrag auf Pflegegrad)
- Die Eltern bekommen die Möglichkeit sich entspannter mit ADHS auseinander zu setzen: Betroffenen auf Social Media zu folgen, entsprechende Podcasts zu hören. Information hilft gegen Angst!
- Eltern können ihren Blick für sich selbst schärfen. Nicht selten (ja ok, sogar oft) sind Eltern von Babys und Kleinkindern mit ADHS auch selbst betroffen, wurden jedoch nie auf ADHS untersucht. Es kann vieles erklären
- Du kannst Dich darin üben, Dir selbst und Deinem Baby zu verzeihen. Niemand ist Schuld 💜
Nachteile einer frühen ADHS Diagnose
Wenn Du bis hier immer noch liest, hast Du vermutlich den dringenden Verdacht, dass Dein Baby oder Kleinkind ADHS hat. Vielleicht hoffst Du auch auf eine Diagnose.
Es gibt auch Nachteile, wenn ein Baby oder Kleinkind bereits mit ADHS diagnostiziert wird. Der Hauptnachteil ist das hohe Risiko einer Fehldiagnose.
Auch können die vielen Termine für Dein intensives Baby anstrengend und überfordernd sein, vor allem, wenn es stark fremdelt oder Autofahren hasst.
Wieso kann es zu ADHS- Fehldiagnosen bei Babys und Kleinkindern kommen?
- Einige Symptome können sich durch die ganz normale Entwicklung des Kindes verwachsen. So kann es sein, dass ein früh diagnostiziertes Kind einige Jahre später nicht mehr die Hauptsymptome einer ADHS zeigt
- Einige Symptome können Teil der ganz normalen Entwicklung des Kindes sein
- Symptome, die für ADHS sprechen, können gleichzeitig auf ein anderes Problem hindeuten. Aggressionen bei Kindern, Ablenkbarkeit, hibbelig sein, sogar Bauchweh können zum Beispiel für eine kindliche Depression sprechen!
Im schlimmsten Fall kann dies zu einer falschen und unnötigen Medikation von kleinen Kindern führen.
Sind die Eltern schuld, wenn ein Baby ADHS hat?
ADHS kann vererbt werden. Hat irgendjemand in eurer Familie ADHS?
Du selbst vielleicht?
Nein?
Bist Du sicher? Vor allem, wenn Dich das Verhalten Deines Schreibabys oder Highneedbabys komplett aus der Fassung bringt, kann es sein, dass auch Du ADHS hast. Vielleicht ist nur nie jemand auf die Idee gekommen, in diese Richtung zu schauen. Dasselbe gilt auch für den anderen Elternteil.
Wenn ein Elternteil betroffen ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Baby oder Kleinkind ADHS hat, bei 20-30%.
Haben beide Elternteile ADHS, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf 80- 90%!
Es gibt andere Gründe für ADHS bei Babys und Kleinkindern. Es ist auch nicht sicher, dass ihr Eltern betroffen seid. Gleichzeitig kann es sein. Eine Möglichkeit von vielen.
Besondere Schwierigkeiten bei ADHS in der Familie
Besonders dann kann der Umgang innerhalb der Familie erschwert sein. Wie sollst Du Deinem Kind den Umgang mit seinen starken Gefühlen und Impulsen zeigen, wenn Du es selbst nie gelernt hast und während Deiner Kindheit vielleicht sogar beschämt und bestraft wurdest?
Auch kann es sein, dass mehrere Menschen in eurer Familie eine unerkannte ADHS haben und ihr denkt, dass ihr „einfach so“ seid: aufgedreht, unorganisiert, impulsiv. In so einem Fall wird selten eine Diagnose gesucht. Schade um die vielen Möglichkeiten, die eine Diagnose eröffnen kann.
Wenn Du die Symptome Deines Babys oder Kleinkindes ordnen und übersichtlich zur Hand haben möchtest, lade Dir jetzt Deinen Symptom- Fahrplan herunter. Kostet keinen Cent 💜
Zuletzt: wenn die Eltern selbst ADHS haben, verhalten sie sich in schweren Situationen oft kopflos, impulsiv (wie das Kind!). Das kann zu harten Worten, viel Geschrei und ja… auch zu Schlägen und Schubsen führen. Tut mir leid, dass ich das so offen anspreche. Zuckst Du nun zusammen? Hinschauen ist der erste Weg zur Besserung! Du bist nicht alleine mit solchen Impulsen.
Was sind die Ursachen von ADHS bei Babys und Kleinkindern?
Zu viel Medien, zu viel Zucker, falsche Erziehung?
Zu wenig im Wald?
Nein.
Und gleich nochmal: nein. Lass` uns schauen:
Können Zucker und Fernsehen ADHS bei Babys und Kleinkindern auslösen?
ADHS wird nicht durch Zucker ausgelöst, auch nicht durch Farbstoffe, zu viel Serie schauen oder zu lasche Erziehung.
Es gibt Kinder (ich war so eines), die auf Zucker mit Verhalten reagieren, das typisch für ADHS ist: aufgedreht sein, nicht zuhören können, der wilde Blick beim verbotenen Salto auf der Couch.
Das Gleiche kann bei bestimmten Farb- und Aromastoffen passieren (kennst Du die quietschbunten, meist blauen, Eis- Getränke im Inddoorspielplatz oder Freizeitpark? Achte mal darauf, da steht sogar eine entsprechende Warnung dabei 🚫).
Auch wenn ein Kind zu viel zockt, zu viel drinnen sitzt, zu wenig frische Luft hat, kann es aufgedreht und unausstehlich werden.
Der entscheidende Unterschied bei ADHS
Jetzt kommt der große Knackpunkt: diese Symptome dauern einige Stunden an. Bei ADHS gibt es die Symptome immer, ganz egal, wieviel Eis, Kuchen oder Bildschirmzeit es gab. Auch bei Babys und Kleinkindern mit ADHS werden die Symptome durch all das wahrscheinlich verstärkt, sie sind jedoch trotzdem immer da.
Was sind die Ursachen von ADHS bei Babys und Kleinkindern?
Es gibt nicht die eine Ursache. Wenn eines der hier genannten zutrifft, hat Dein Kind nicht automatisch ADHS!
Es sind kleine Puzzlestückchen, die als Ganzes das Bild von ADHS ergeben können.
Ist das Gehirn von Babys und Kleinkindern mit ADHS anders?
Die Gehirne und das Nervensystem von Betroffenen mit ADHS funktionieren anders (eine wichtige Info für Menschen, die denken, dass ADHS eine Erfindung ist!).
Die Unterschiede im Vergleich zu Babys und Kleinkindern ohne ADHS sind:
- Manche Hirnbereiche sind weniger stark durchblutet
- In manchen Hirnbereichen sind die Nerven weniger aktiv
- Manche Nebenbereiche werden aktiviert, die sonst in Ruhe gelassen werden
- Manche Hirnbereiche haben eine andere Größe
- Botenstoffe im Gehirn, die für die Gefühle (zum Beispiel das Gefühl von Belohnung) zuständig sind, funktionieren anders
- Hormone, die Aufmerksamkeit, Motivation, Impulskontrolle und Aktivität steuern, funktionieren verändert oder sogar gestört (hier können Medikamente eingreifen, um für Ausgleich zu sorgen. Unten steht mehr dazu)
Wodurch wird ADHS bei Babys und Kleinkindern ausgelöst?
In einer Diagnose wird normalerweise nicht das Gehirn Deines Kindes untersucht. So ist es nicht möglich, zu sagen, ob alle Menschen mit ADHS unter diesen Veränderungen leiden (es ist gleichzeitig sehr naheliegend).
Klar ist, das ADHS auch bestimmte Auslöser haben kann.
Das heißt nicht, dass alle Menschen, die so etwas erleben, ADHS bekommen.
Wenn aber mehrere Puzzlestückchen zusammenkommen, dann ist es sehr wahrscheinlich. Unter der Aufzählung gebe ich Dir ein Beispiel.
Mögliche Auslöser für ADHS bei Babys und Kleinkindern
- schwer belastende Ereignisse (zum Beispiel Trennung der Eltern, Umzüge)
- Traumata
- Alkohol, Nikotin und/ oder andere Drogen in der Schwangerschaft
- Frühgeburt sowie ein geringeres Geburtsgewicht
- Mangelernährung im Mutterleib
- Jungen sind öfter betroffen als Mädchen (oder bei ihnen wird ADHS häufiger erkannt. Das kann auch sein, da ADHS bei Mädchen unauffällger sein kann!)
Hier kommt das oben versprochene Beispiel: das Risiko für ADHS kann sehr hoch sein, wenn die Eltern beide eine ADHS- Diagnose haben (auch, wenn sie unerkannt ist), das Baby zu früh geboren wird und es in den ersten Lebensjahren zu einem Trauerfall in der Familie kommt.
Du siehst: ein Puzzlestück alleine stellt keine Diagnose.
Hinzu kommen sicher noch etliche Auslöser, die bis heute noch nicht erforscht sind. Schreibe Deine Vermutungen im Symptom- Fahrplan auf, um sie nicht zu vergessen!
Was kann ich tun, wenn ich ADHS bei meinem Baby vermute?
Wenn Du bei Deinem Baby ADHS vermutest, habe ich hier eine Übersicht, was Du tun kannst💜
Wenn Du zu dieser Überschrift gesprungen bist, weil Dir der Text zu lange ist: verständlich, es ist wirklich viel! Hier sind Deine nächsten Schritte:
- Notiere Deine Beobachtungen im Symptom- Fahrplan
- Frage auch Familienmitglieder oder andere betreuende Personen nach ihren Erfahrungen mit Deinem Kind
- Verzichte auf Strafen (mehr dazu im nächsten Abschnitt)
- Frage in Deiner Kinderarztpraxis
- Wenn Du Dich dort nicht ernst genommen fühlst: suche Dir eine kinder- und jugendpsychiatrische Praxis und lasse euch auf die (vermutlich lange) Warteliste setzen.
- Eine weitere Möglichkeit sind sonderpädagogische Zentren
- Achte bei den „U“ Untersuchungen darauf, dass Deine Wahrnehmungen einfließen und im gelben U- Heft vermerkt werden. Dies kann später von Bedeutung sein
- Vernetze Dich mit betroffenen Familien. Oft bekommt man dadurch ein besseres Gefühl für die Probleme und Herausforderungen im Familienalltag.
Welche Strafen brauchen Kinder mit ADHS?
Kinder, besonders Babys und Kleinkinder mit ADHS, können sehr herausforderndes Verhalten zeigen. Es kann Dich weit über Deine Grenzen treiben! Typischerweise überschreiten sie Grenzen, verhalten sich distanzlos, frech und unvorsichtig.
Oft zweifeln solche Eltern an ihrer Erziehung und beginnen (auch aus Überforderung), zu schreien, die Kinder zu beschimpfen und zu bestrafen.
Bringt das etwas?
Können Strafen ein Kind mit ADHS verändern?
Ja. Strafen, Kritik und Beschämung haben die Macht, das Kind zu ändern.
Sie führen zu mangelndem Selbstwert, zu Hass auf sich selbst, zu Selbstzweifeln.
Können Strafen das Verhalten von Kleinkindern mit ADHS verändern?
Nein. Natürlich nicht! Der Grund ist, dass sich Kinder mit ADHS nicht absichtlich so verhalten. Sie nerven uns nicht absichtlich beim Telefonieren, sie ärgern nicht extra ihre Freunde, sie schauen nicht mit Absicht beim Vorlesen uninteressiert im Zimmer umher und sie zerstören auch nicht aus Bosheit das Puppenhaus der Geschwister.
Laut Schätzungen bekommt ein Kind mit ADHS alleine in der Schule bis zu seinem 10. Geburtstag ca. 20000 mal Kritik!
Ihre fehlende Kontrolle über sich selbst, ihr mangelndes Belohnungssystem im Gehirn, ihre ganze ADHS verursacht all dies.
ADHS wird sich niemals durch Strafen verbessern. Wahrscheinlicher ist, dass das Kind mit der Zeit versucht, seine Impulse zu verstecken (das kommt häufig vor und heißt „maskieren“) oder gegen sich selbst zu richten.
Welche Erziehung brauchen Kinder mit ADHS?
Babys und Kleinkinder mit ADHS brauchen Eltern, die ihnen den Umgang mit ihren Impulsen zeigen. Dafür müssen die Eltern an erster Stelle selbst Möglichleiten kennen, wie das funktioniert. Dies kann in einer guten ADHS- Therapie oder einem kompetenten ADHS- Coaching gelernt werden.
Belohnungskicks bei Kindern mit ADHS
Kinder mit ADHS bekommen weniger Belohnungskicks als andere Menschen.
Wenn ich Aufgaben aus meiner To Do Liste streiche, wenn ich Zähne geputzt habe oder mit meinem Hund spazieren war, dann fühle ich mich gut. Aufgabe erledigt, Haken dran.
Dies macht mein eigenes Belohnungssystem in meinem Körper. Menschen mit ADHS haben das nicht. Es kann für sie unendlich schwer (oder unmöglich) sein, einer Anweisung zu folgen, alltägliche Dinge zu tun oder „einfach mal“ still zu sein. Aufgabe der Bezugspersonen ist, den Kindern zu helfen, all dies zu lernen- zusammen mit ihrer ADHS.
Checkliste für ADHS bei Babys und Kleinkindern
Vermutest Du noch immer, dass Dein Baby oder Kleinkind ADHS haben könnte? Hier kannst Du Dir Deinen Symptom- Fahrplan abholen. Damit bekommst Du die Möglichkeit, die Symptome Deines Kindes über die Jahre zu beobachten und zu sammeln. Eine wichtige Stütze bei einer späteren Diagnose 💜
ADHS Lexikon: Highneed, gefühlsstark, hochsensibel oder ADHS?
Hast Du ein Highneedbaby?
Ist es hochsensibel oder gefühlsstark?
Es gibt so viele Begriffe, die sich teilweise schlecht voneinander unterscheiden lassen. Ich halte mal meine Taschenlampe drauf:
- Highneed: ein Mensch, der besonders starke Bedürfnisse hat und es schlecht aushält, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt wird. Bekannt als Highneedbabys mit den 12 typischen Merkmalen, schau gerne hier. In meinen Augen ist Highneed ein Symptom für etwas anderes: für Anpassungsstörungen, für Hochsensibilität oder vielleicht auch für ADHS. Highneed ist keine Krankheit, keine Behinderung und keine Diagnose. Es meint Eigenschaften, die jemand zeigt.
- Gefühlsstärke: Gefühlsstärke ist ein Persönlichkeitsmerkmal. Gefühlsstarke Menschen fühlen alles besonders intensiv und handeln dann meist auch unbedacht. Gefühlsstarke Babys sind oft sogenannte Schreibabys. Es ist kein offizieller Begriff und auch keine Krankheit, es kann nicht diagnostiziert werden. Oft werden Kinder als gefühlsstark bezeichnet, die später eine ADHS Diagnose bekommen. Menschen mit ADHS sind oft gefühlsstark!
- Hochsensibilität: ein Persönlichkeitsmerkmal. Alles wird besonders stark und dünnhäutig wahrgenommen. Reize können schlecht gefiltert werden. Hochsensible Babys sind oft sogenannte Schreibabys. Menschen mit ADHS sind oft hochsensibel.
- Neurodivergenz: Betroffene mit ADHS sind neurodivergent, ADHS ist eine Neurodivergenz. Hier erkläre ich Dir in einem kurzen Video, was das bedeutet:
„Unser Kind ist besonders, nicht gestört!“
Begriffe wie „Hochsensibilität“ und „Gefühlsstärke“ sind meist nicht das Ende der Reise.
Manchmal stehen sie für sich. Manchmal zeigen sie aber auch auf etwas anderes (zum Beispiel ADHS).
Auf Social Media bekomme ich oft den Eindruck, dass Bedenken von Eltern abgetan werden: „ADHS? Nein, das Kind ist nur gefühlsstark!“
Das finde ich befremdlich. Sehr wohl können gefühlsstarke Kinder ADHS haben. Oder auch nicht. Nur eine genaue Beobachtung und eine professionelle Diagnose können das aussagen.
Woher kommt die Ablehnung gegenüber ADHS bei Babys und Kleinkindern?
Besonders bei bedürfnisorientierten Eltern besteht nach meiner Erfahrung eine große Angst gegenüber ADHS (schreib` mir gerne, wenn Du andere Erfahrungen gemacht hast).
Alles scheint ihnen lieber zu sein: gefühlsstark, hochsensibel, besonders liebebedürftig, besonders zart: Babys dürfen alles sein, nur ADHS wird ausgeklammert.
Warum? Bekommen liebevoll aufgezogene Kinder in gebildeten Familien mit biologisch angebautem Essen, ohne Medienzeit und mit täglich vielen Stunden an der frischen Luft kein ADHS? (das habe ich extra überspitzt formuliert- ich hoffe, Du verstehst, was ich meine 💜)
Bekommen das nur die anderen?
Die Babys mit Lollies in der Hand im Buggy?
Die Kleinkinder mit eigenem Tablet zum 1. Geburtstag?
Oder die Kinder von Müttern, die sich in der Schwangerschaft nicht gut ernähren, die sogar rauchen?
Solltest Du nicht von ADHS verschont bleiben, wenn Du doch alles mit Deinem Baby richtig gemacht hast?
Nein, es kann auch Dein Kind betreffen. Genau wie meins!
Und auch, wenn Du scheinbar alles richtig machst. Kein Kind, keine Familie hat eine Diagnose mehr oder weniger verdient, nur, weil ihr Lebensstil und ihre Erziehungseinstellung nicht unserer entspricht.
ADHS gibt es überall, nicht nur in sozial schwachen Familien mit alleinerziehenden, überforderten Müttern, die ihren Kleinkindern ständig Fast Food geben.
ADHS ist keine Strafe.
Welche Therapie gibt es für Babys und Kleinkinder mit ADHS?
ADHS bei Babys und Kleinkindern ist nicht heilbar. Es gibt nicht die eine Sache, die eine ADHS löscht.
Die Therapie hat die Aufgabe, dem Kind und der Familie zu helfen, mit der ADHS gut leben zu können.
Hierzu gibt es viele Möglichkeiten:
Therapie ohne Medikamente für Babys und Kleinkinder mit ADHS
Gemeinsam mit der Familie werden Lösungen erarbeitet. Diese können zum Beispiel sein:
- Die Eltern des Kindes werden im Umgang mit ADHS geschult
- Die Umgebung zu Hause kann an die Bedürfnisse des Kindes angepasst werden
- Es werden Möglichkeiten gefunden, wie das Kind angemessen körperlich toben kann (denn Kinder mit ADHS verletzen sich oft, da sie Risiken schlechter einschätzen können). Achtung, Missverständnis: richtig austoben können sich Kinder mit ADHS nicht, der innere Motor steht nie still
- Das Kind bekommt je nach Alter Hilfe, um besser in der Gesellschaft zurecht zu kommen
- Es können Verhaltens- und Belohnungspläne erstellt werden. Da bei Kindern mit ADHS die Belohnung nicht innerlich entstehen kann, hilft das oft. Kinder mit ADHS können äußere Belohnungen aber schlecht speichern, wenn sie zeitverzögert kommen. Das angemessene Belohnen im richtigen Moment kann erlernt werden
- Akzeptanz
- Es werden sichere Alternativen für Problemverhalten (Dinge zerstören, andere verletzen, weg laufen usw.) gesucht
- Das Selbstvertrauen von Eltern und Kind wird gestärkt
Therapie mit Medikamenten für Babys und Kleinkinder mit ADHS
Gegen Medikamente gibt es einige Vorurteile:
Werden die Kinder ruhig gestellt? Auf Drogen gesetzt? Soll das Kind nur an die Gesellschaft angepasst werden?
Befürworter von Medikamenten argumentieren, dass das Vermeiden von Medikamenten den Kindern mit ADHS wichtige Chancen weg nimmt und sie auf einen vermeidbaren Leidensweg zwingt.
Meine Meinung über Medikamente bei ADHS
Ich denke, dass angemessene Medikation dem betroffenen Kind sehr gut helfen kann. Manche Schulkinder haben mit Medikamenten zum Beispiel überhaupt erst eine leserliche Handschrift, können ohne Medikamente weder in Ruhe lesen noch schreiben, keinen Hobbys nachgehen, nicht mit anderen Kindern spielen (weil sie sich nicht an die Regeln halten und manchmal übergriffig werden).
Medikamente sollten immer individuell auf das jeweilige Kind und die Situation angepasst werden. Es gibt hier keine Lösung, die auf alle passt.
Das Kind lernt sich selbst zum ersten Mal kennen
Aus meiner beruflichen Erfahrung kann ich sagen, dass ältere Kinder oft heilfroh über eine gute Medikation sind. Sie fühlen zum ersten Mal, wer sie eigentlich sind, was sie für Möglichkeiten haben, wenn sie den Kopf aus dem ADHS- Feuerwerk herausheben können.
Sie lernen zum ersten Mal ihren eigenen Charakter kennen, der sonst so durch die Symptome verdeckt wird.
Medikamente wirken oft nur eine begrenzte Zeit. So ist es zum Beispiel auch möglich, dass ein Schulkind nur unter der Woche Medizin nimmt und am Wochenende nicht.
Bei Babys und Kleinkindern mit ADHS besteht das Problem, dass es hierfür keine angemessene Dosierung gibt.
Zwar werden in den USA jedes Jahr viele Babys und Kleinkinder mit Medikamenten gegen die Symptome von ADHS versorgt- jedoch sollte hier ganz genau hingeschaut und abgewogen werden, um den kleinen Körper nicht mit ungeeigneten Medikamenten zu belasten.
Vorteile von kindlichem ADHS
Alles ganz schön viel, oder?
Hey, weißt Du was? ADHS hat auch Vorteile. Betroffene Kinder haben durch die ADHS auch Eigenschaften, die ihnen im Leben Rückenwind und Chancen bringen.
ADHS bringt
- Kreativität
- Gerechtigkeitssinn
- Filterlose Ehrlichkeit
- Riesigen Wissensdurst
- Starkes Wahren und Schützen der eigenen Grenzen (da kann ich mir eine Scheibe abschneiden)
- Spontanität
Diese tollen Eigenschaften können nur geschützt und ausgelebt werden, wenn das Selbstwertgefühl des Kindes nicht im Laufe der Zeit durch zu viel Kritik zerstört wird.
Echte Erfahrungen mit ADHS
Jetzt kommen Betroffene zu Wort! Zum Glück gibt es mittlerweile die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu teilen. Ihr seid auf eurem Weg mit kindlichem ADHS nicht alleine 💜
Hier Erfahrungen von Expertinnen, die den Umgang mit ADHS leben und andere daran teilhaben lassen:
Heike
ADHS ist um einen zitierfähigen Satz zu ADHS gebeten zu werden, es zweimal vergessen, es ein drittes Mal trotz Reminder und Kalender wieder vergessen, weil im Moment des Reminders und des Kalenderblicks andere Dinge das Arbeitsgedächtnis voll machen.
ADHS ist das Zitat dann eine Stunde vor Mitternacht fertig zu machen, denn man hatte versprochen es „heute“ zu liefern.
ADHS ist also ganz oft: mit Stresshormonen kurz vor knapp den Dopaminmangel vorher kompensieren.
ADHS ist Restless Mind, die Unmöglichkeit der Festlegung auf ein Thema, es ist den verlorenen Schlüssel in der Hosentasche wiederfinden, und vorher wie Rumpelstilzchen durch die Bude suchen und schimpfen.
ADHS sind so viele Ideen im Kopf, dass man beinahe schon spürt, wie einige von der gedanklichen Schreibtischplatte rutschen, denn die ist chronisch zu klein, zu glatt und hat kein integriertes Ordnungssystem.
ADHS ist um einen zitierfähigen Satz gebeten werden und mit einer Liste antworten.
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Cheyenne
ADHS bedeutet für mich ständiges Chaos im Kopf.
Die Gedanken kreisen und man hat keinen klitzekleinen Moment Ruhe.
Von Kindern wird früh erwartet, sich einfach an gewisse Regeln halten zu können. Dabei geraten Kinder mit ADHS sehr schnell in Schwierigkeiten, weil ihr Gehirn es nicht zulässt sich auf eine Regel zu konzentrieren und die Impulskontrolle dem Ganzen schnell einen Strich durch die Rechnung macht.
Ich würde mir wünschen, dass der Spielraum was wir von Kindern erwarten erweitert wird und akzeptiert wird, dass Gehirne alle anders funktionieren. Kinder mit ADHS sind nicht frech. In ihrem Kopf ist einfach so viel los.
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Janina
ADHS wird von der Öffentlichkeit meist nur mit körperlicher Hyperaktivität, Konzentrationsschwäche und Wutausbrüchen dargestellt. Es wird belächelt, bagatellisiert und als Erziehungsfehler betitelt. Eine absolut fehlerhafte und auch stigmatisierende, diskriminierende Darstellung eines so komplexen Themas. ADHS ist viel mehr als das. Mehr Vielfältigkeit und Potenzial, aber auch viel mehr Herausforderungen im Alltag und oft auch Leid. Gefühle, die nicht reguliert werden können, fehlende Impulskontrolle, hohe Vergesslichkeit, Zeitblindheit, Desorganisation und manchmal sogar die Unfähigkeit, langweilige oder monotone Tätigkeiten auszuführen, sind nur ein kleiner Teil von ADHS.
Denn entgegen der öffentlichen Darstellung, sind die Schwierigkeiten bei ADHS eine komplexe Störung der exekutiven Funktionen, die für die Steuerung der Emotionen, unsere Gedanken und unser Handeln verantwortlich sind.
Das beeinflusst Menschen mit ADHS und so gut wie jedem Lebensbereich und das ihr ganzes Leben lang. Unbehandelt kann ADHS zu großen Problemen im Alltag, Beziehungen, Schule, Finanzen und Arbeit führen. Und genau deswegen ist es zwingend notwendig, dass die Stigmatisierung von ADHS aufhört. Viele Eltern zögern eine Diagnose lange heraus, oder verzichten sogar darauf, aus Angst vor Stigmatisierung ihres Kindes. Dies ist aber fatal für das Kind selber, denn es erhält keine Hilfen, Nachteilsausgleiche, Therapien oder vielleicht sogar Verständnis des Umfeldes.
Ich kann allen Eltern ans Herz legen genau hinzuschauen, wenn ihr das Gefühl habt, dass euer Kind eventuell ins ADHS Spektrum gehören könnte. Erkundigt euch, sprecht euren Kinderarzt an, macht einen Termin bei einer Diagnostikstelle und nehmt die Probleme eurer Kinder ernst, denn sie werden davon ihr Leben lang profitieren. Nur weil wir Probleme ignorieren, werden sie nicht verschwinden.
Bedürfnisorientierter Umgang mit Autismus, ADHS & PDA (@infinity.of.butterfly) | Instagram
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Regina
„Ich habe Angst, mein Kind könnte ADHS haben.“
Solche oder ähnliche Gedanken beschäftigen viele Eltern, die sich erstmalig mit dem Gedanken an eine ADHS-Diagnose beschäftigen.
Und das ist normal.
Erst einmal ist es wichtig, sich zu fragen, wovor man Angst hat? Vor der Diagnose? Davor „dieses eine Kind“ zu haben?
Vor Medikamenten? Vor Stigmatisierung? Es gibt viele Gründe, warum Eltern sich Sorgen machen.Dennoch sollten Eltern sich diesen Ängsten stellen. Denn ein Kind ohne offizielle Diagnose hat trotzdem eine Diagnose. Sie verschwindet nicht, indem wir sie ignorieren. Höchstwahrscheinlich erleben Betroffene auch ohne offizielle Diagnose eine Stigmatisierung. Denn die Probleme sind ja da.
Warum du vor der offiziellen Diagnose keine Angst haben musst?
Weil sie euch unterstützen soll. Es eröffnet euch und eurem Kind Hilfen,
z.B. eine Verhaltenstherapie, Ergotherapie und ja – auch Medikamente (das immer individuell und niemals pauschal empfohlen wird).Übrigens zwingt euch niemand, Lehrkräfte über eine Diagnose zu informieren.
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Ihr dürft und ihr solltet Hilfe annehmen für euch und für eure Kinder. Denn die allermeisten Spätdiagnostizierten ADHSlerInnen wünschen sich, man hätte sie bereits in ihrer Kindheit gesehen.
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Erste Hilfe Tipps im Umgang mit kindlichem ADHS
Zum Schluss möchte ich Dir ein paar kleine Hacks an die Hand geben, um etwas entkrampfter mit Deinem Kind umgehen zu können.
Die Tipps helfen auch Kindern ohne ADHS, es spielt also keine Rolle, ob ihr bereits eine Diagnose erhalten habt oder nicht:
- Halte beim Sprechen mit Deinem Kind Augenkontakt
- Berühre Dein Kind am besten, wenn Du mit ihm sprichst, drücke seinen Arm, halte seine Schulter, drehe Deinen Körper zum Kind
- Bei Babys: untröstbares Schreien sollte beruhigt oder begleitet werden
- Bedenke, dass Dein Kind Sachen vergessen kann, wenn es sie nicht sieht: offene Spielregale können besser sein als geschlossene Schränke
- Verständnis: wenn Dein Kind komplett auf Süßigkeiten und/ oder Medien abfährt, kann das den Grund haben, dass es sich wie Belohnung anfühlt. Denke daran, bei ADHS funktioniert das eingebaute Belohnungssystem des Gehirns nicht richtig
- Langeweile kann Symptome verschlimmern und unerträglich sein
- Wenn Dein Kind schlecht still sitzen kann: lass` es am Boden spielen und arbeiten. Setz Dich dazu! Das hilft auch der natürlichen Bewegungsentwicklung von euch beiden
- Habe niedrige Erwartungen an Feiertage und besondere Situationen (zum Beispiel Urlaube).
Und zum Schluss…
Zuletzt: für einen liebevollen Umgang mit Deinem Baby oder Kleinkind ist es vollkommen egal, ob es später mal eine Diagnose bekommt oder nicht.
Der Weg, um mit scheinbar grundlosem, stundenlangen Babyschreien umzugehen, führt über Beruhigen und Begleiten 💜
Quellen
ICD10 10. Aufl. / Hogrefe
HPPSO4 Psychotherapie SH4 sgd
https://www.healthcentral.com/article/adhd-why-traditional-punishment-doesnt-work
https://www.mdedge.com/psychiatry/article/23971/pediatrics/dont-let-adhd-crush-childrens-self-esteem
https://www.medicalnewstoday.com/articles/315518#diagnosis
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24951075/
Grams` Sprechstunde: ADHS bei Erwachsenen und Kindern